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Warum Mobbing ein zentrales Problem ist, dessen Wurzeln nicht greifbar sind

Anonymer Leserbrief

Eine Schule wie unsere, welche dem Motto „Ohne Rassismus mit Courage“ folgt und als tolerante, offene Institution des Lernens auftritt, mag auf den ersten Blick kein zentraler Ort für Mobbingattacken oder ähnliche Ausmaße von Anfeindungen sein. Doch das Problem selbst findet meist nicht ausschließlich in jugendlichen Begegnungsstätten statt, sondern ist vielmehr ein grundlegender Konflikt unserer Gesellschaft, welcher sich, einem Faden ähnlich, durch unsere Gemeinschaft zieht, und ihr in allen Generationen und Situationen begegnet. Laut einer Studie wird in Deutschland jeder sechste Schüler gemobbt und fast ein Drittel aller Erwachsenen gaben an, sie seien bereits Opfer von Mobbing gewesen[1]. Aber wie entwickelt sich Mobbing, was sind dessen Triebfedern und ist es überhaupt möglich, es durch kompetente Aufklärung zu verhindern?

 

Ich bin vor geraumer Zeit aufgrund von Mobbing auf unsere Schule gewechselt, mir schien es, als gäbe es für mich keine andere realisierbare Lösung, aus diesem Kreislauf der öffentlichen und digitalen Anfeindungen zu entkommen, als selbst aktiv aus der Situation auszutreten. Mobbing hat jedoch zu viele unterschiedliche Facetten, um meine Begebenheiten in einen besonderen Handlungsstrang einzuordnen. Wenn ich hier also über meine persönlichen Erfahrungen berichte, ist dies nicht als ein wissenschaftlicher und fachlicher fundierter Artikel zu verstehen, sondern als individuelle Schilderung meiner Erlebnisse.

Für mich war Ausgrenzung oder das Gefühl allein in einer Gruppe zu sein nie eine Chose gewesen, ich war stets extrovertiert, offen und tolerant. Ich war ein Mensch, der mit vielen unterschiedlichen Charakteren und Umständen zurechtkam. Das änderte sich, als ich nach der Grundschule in die fünfte Klasse eines Gymnasiums kam. Aufgrund der Klassenaufteilung kannte ich niemanden persönlich, einige meiner neuen Mitschüler hatte ich bereits gesehen, viele begegneten mir zum ersten Mal. Untereinander kannten sich die meisten allerdings schon, waren oft befreundet und so fiel es mir relativ schwer, Anschluss zu finden.

Ich war eine sehr wissbegierige, ehrgeizige Schülerin, die nicht davor zurückschreckte, den Lehrern viele Fragen zu stellen oder mich mündlich besonders gut zu beteiligen. Das machte mich jedoch zum Opfer verbaler Anfeindungen, ich sei ein Streber oder solle einfach die Klappe halten. Privat wurde ich von meinen Mitschülern angesichts dieser Charaktereigenschaften allerdings ausgenutzt, sei es für die Lösungen von Hausaufgaben oder als Partner für Projekte. Dann waren meine Peiniger plötzlich nett und freundlich und ich erfüllte ihnen ihre Wünsche, in der Hoffnung sie wären in Zukunft netter zu mir. Dieses Wunschdenken setzte dennoch nie ein, vielmehr war ich ein „Mittel zum Zweck“ und wurde danach weiter ignoriert oder schikaniert.

Im Laufe der Schuljahre, verhärteten sich die Fronten gegen mich, ich wurde nicht mehr für meine Persönlichkeit kritisiert, sondern mein Äußeres stand im Vordergrund. Meine Kleidung wurde bösartig kommentiert, ich wurde gefragt, ob ich früh nicht in den Spiegel gesehen hätte, uns musste mir kränkende Bemerkungen über meinen Körper anhören.

Besonders einer meiner Mitschüler wurde im Laufe der Zeit immer skrupel- und respektloser. Im Mittelpunkt stand nicht mehr Kritik an meiner Person, das Ziel der Anderen war eher mich gezielt zu verletzen und angreifbar zu machen. Mein Umfeld wurde beleidigt, dabei lag der Fokus besonders auf Personen, die mir wichtig waren und denen ich nahestand und ich durfte mir erniedrigende Sachen und verbale Herabwürdigungen anhören. Meine persönliche Grenze wurde spätestens an dem Punkt überschritten, als mir geraten wurde, Suizid zu begehen, um die Welt zu verbessern. Nach diesem Satz beschloss ich, relativ schnell und ohne großes Zögern, dieser Schule mit ihren Menschen den Rücken zu kehren.

Jetzt fragt ihr euch sicherlich, wieso ich mich nie gewehrt habe, wie ich es so weit kommen lassen konnte. Doch dieser endgültige Entschluss, die Schule zu wechseln, war weder mein erster noch mein einziger Versuch gewesen, meine Situation zu ändern oder zu verbessern. Ich verhielt mich meinen Mitschülern gegenüber passiv, versuchte ihnen aus dem Weg zu gehen, ich ging mit ihnen in den Dialog, holte mir Rat und Hilfe bei Klassen- und Vertrauenslehrern, weihte meine Eltern ein und bat sie um Hilfe, doch alle diese Versuche blieben ohne Erfolg. Als ich schließlich wechselte wurden mir sogar Vorwürfe gemacht, ich hätte zu wenig gegen meine Situation unternommen.

Rückblickend betrachtet empfinde ich meine Entscheidung, der Situation durch einen Wechsel zu entkommen, immer noch als die richtige an. Ich bin, anders als es Einige auffassen, nicht vor dem Problem „weggerannt“ anstatt mich der Situation zu stellen. Ich bin fünf Jahre meines Schullebens aktiv und passiv auf die Gegebenheiten eingegangen und habe versucht mich anzupassen und in meinem Umfeld einzugliedern, mein eigenes Wohlbefinden und den Drang nach freier Entfaltung meiner Person vernachlässigend. Manchmal ist man selbst nicht an seiner Situation schuld, sondern die Umstände unpassend, ein Problem, welches ich durch den Schulwechsel und der damit verbundenen Veränderung dieser Umstände, behoben habe.

Ich hege keinen Hass gegen meine Peiniger, jedenfalls nicht mehr. Nach über einem Jahr Abstand vor der Situation und dem Reflektieren dieser, gebe ich nicht ihnen die Schuld, sondern der Institution, welche ich besuchte. Mobbing wurde nie thematisiert, Fällen wie meinem wurde sich nicht angenommen, sondern die Betroffenen sich selbst überlassen. Dabei ist mit Aufklärung über das Thema und dem Schaffen eines Gefühls von Gemeinschaft und Zusammenhalt viel getan. Mobbing kann man nicht vollständig abschaffen, dafür sind Vorurteile und Diskriminierung in unserer Gesellschaft zu tief verwurzelt und zu weit verbreitet. Aber durch Aufklärung kann auch vielem vorgebeugt werden und vor allem darf nicht weggesehen werden, weder von Unbeteiligten noch von Autoritäten, wie im Beispiel von Jugendlichen, Lehrern, Eltern oder später dem Arbeitgeber.

Ich für meinen Teil sehe in den vergangenen Jahren meines Lebens dennoch positive Aspekte; ich habe mich getraut für mich einzustehen und auf mein Herz sowie meine innere Stimme zu hören und die Schule zu wechseln. Ich schätze seitdem meinen persönlichen Wert viel mehr und bin mir bewusst geworden, dass ich mit meinem neu gewonnenen Selbstbewusstsein und der wiederentdeckten Lebensfreude vielmehr erreiche, als ich mir selbst zugetraut hätte.

Aber was können wir tun, um an unserer Schule Mobbing vorzeitig zu erkennen und zu verhindern? Die Betroffenen, die sich jetzt vielleicht in meinen Erzählungen wiedererkannt haben und ähnliche Situationen durchleben müssen, sind vielleicht die, die am meisten gegen ihre Situation ankämpfen müssten, aber auch gleichzeitig die, deren Hände am stärksten gebunden sind. Aus Scham sich als Opfer von Mobbing zu bekennen oder aus Angst etwas zu sagen, was die Umstände nur noch verschlimmert, vertrauen sie sich selten jemandem an, sondern bleiben lieber still. Doch die Art, wie man von seinen Mitmenschen behandelt wird, sagt nichts über den eigenen Wert aus, sondern über den Charakter der Anderen. Sich einer Person anzuvertrauen ist oft hilfreich, damit muss auch nicht immer ein Eingriff in die Situation verbunden sein, sondern auch einfach ein offenes Ohr, oder ein hilfreicher Tipp, der vermittelt werden kann.

Solltet ihr schon mal selbst in einer Mobbingkonstellation involviert gewesen sein, egal ob als einer der „Täter“ oder ein vermeidlich Unbeteiligter, welcher sich aus Konfliktscheu oder Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden, nicht eingemischt hat, dann lasst euch sagen; eure Worte und Taten verletzen mehr als ihr es euch vielleicht vorstellen könnt. Auch sich aus allem „rauszuhalten“ ist für die Opfer keine große Hilfe, sondern zeigt ihnen nur unterbewusst, dass ihr ähnliche Meinungen und Interessen vertretet, wie ihre Mobber und einfach nur passives Verhalten zeigt. Bei dem einen oder anderen dummen Spruch kann man sich auch sicherlich zweimal überlegen, ob er wirklich jetzt nötig ist.

Wie ich oben bereits erwähnt habe, waren meine Lehrer damals keine große Hilfe für mich und standen mir in kaum einer Situation wirklich zur Seite. Dabei wäre es für mich damals so wichtig gewesen, eine Autorität hinter mir stehend zu wissen und ihre Unterstützung zu haben. Daher auch noch ein kurzes Wort an alle Lehrer/- innen gerichtet: Versuchen Sie ihren Schülern das Gefühl zu geben, in der Schülergemeinschaft verstanden und akzeptiert zu werden und probieren Sie, in Ihrer Klasse oder Ihrem Unterricht ein mobbingfreies Lernklima zu schaffen. Lieber einmal mehr Mobbingkonstellationen vorgebeugt, als Zuschauer dieser in der eigenen Klasse zu werden.

 


[1]https://zeichen-gegen-mobbing.de/zahlen Studie der „Zeichen gegen Mobbing e.V.“